Content

Hochwasserkatastrophe in Simbach am Inn

Kategorie: Feuerwehrteam des Jahres - National

Name der Feuerwehr: Freiwillige Feuerwehr Simbach am Inn, Bayern

Der Alarm von Kommandant Markus Pilger und seinen Kameraden der Simbacher Feuerwehr erfolgt am 1. Juni 2016 um 08.40 Uhr. Extreme Niederschläge hatten dafür gesorgt, dass sich vor einer Brücke über den Inn-Ableger Simbach Bäume und Äste angesammelt hatten und eine Verklausung drohte. Derartige Hochwasser-Einsätze sind für die an den Inn angrenzende Stadt mit rund 10.000 Einwohnern nicht ungewöhnlich. Doch aufgrund der andauernden starken Regenfälle – 160 Liter pro Quadratmeter innerhalb weniger Stunden – nahm die Freiwillige Feuerwehr Simbach ab 09:53 Uhr regelmäßige Wasserstandskontrollen vor. Dabei testeten die Einsatzkräfte einen neuen, sich noch im Entwurf befindlichen Hochwasser-Alarmplan. So wurde um 10:41 Uhr ab dem vordefinierten Wasserstand von 180 cm Zugalarm für die Simbacher Feuerwehr sowie das THW ausgelöst. Konkret bedeutete das, dass die Abschnittsführungsstelle besetzt wurde, um Vorbereitungen für etwaige Überflutungen zu treffen. Zudem traf sich der Simbacher Krisenstab, bestehend aus Führungskräften der Feuerwehr und des THW Ortsverbandes sowie dem Bürgermeister. Um 11:17 Uhr erreichte der Pegelstand 200 cm. Die Konsequenz: Die Stadtteilfeuerwehr Erlach und Kirchberg wurden nachalarmiert, um gemeinsam Sandsäcke zu füllen, an die Bevölkerung zu liefern und um betroffene Straßen zu sperren.

Flut nicht zu stoppen: Straßendamm zum Schulzentrum bricht, B12 überflutet

Ab ca. 12:30 Uhr läuft der Simbach in der Innenstadt über und verursacht erste überflutete Straßen, Keller und Tiefgaragen. Zu diesem Zeitpunkt wird deutlich, dass der Alarm vom 1. Juni 2016 nichts mit den bisher gewohnten Hochwasser-Einsätzen, zuletzt 2002 und 2013, gemein hat. Ab 12:50 Uhr übernimmt Kreisbrandmeister Johann Schachtner die Funktion des Örtlichen Einsatzleiters (ÖEL). Bis ca. 13 Uhr haben sich im Ortsteil Steghäuser vor dem Straßendurchlauf der Straße zum Schulzentrum extrem große Wassermengen bis in die angrenzenden Täler Richtung Kirchberg, Antersdorf und Eggstetten aufgestaut, bis schließlich der Straßendamm bricht, die Wassermengen den Teer aufreißen und durch den Erd- und Kieswall die Wasserflut zu einer immer weiter anwachsenden Schlammflut werden lassen. Bis ca. 13:45 Uhr strömen 1000 Kubikmeter Treibgut und mitgerissene Bäume mit hoher Geschwindigkeit unaufhaltsam auf die Innenstadt zu – eine bis dahin nicht vorstellbare, beispiellose Überflutung und Zerstörung des Simbacher Stadtzentrums. Die tiefer gelegene Bundesstraße 12 wird dabei komplett überflutet, das Wasser begräbt bei einem Stand von ca. 3,5 Meter sämtliche PKW und LKW teilweise oder vollständig unter sich. Die Dämme in Höhe Passauer Straße sowie Wilhelm-Dieß-Straße im Ortsteil Kreuzberg brechen, in der Innenstadt werden hunderte Fahrzeuge abgetrieben, über 400 Gebäude teilweise oder komplett überflutet.

Katastrophenfall wird ausgerufen

Hunderte von Simbacher Bürgerinnen und Bürgern werden von den Wassermengen völlig überrascht, fünf Menschen ertrinken in der überfluteten Innenstadt. Das Kommando für die Einsatzkräfte ändert sich daraufhin schlagartig. Anstelle der bisherigen Einsatzstichworte „Erkundung“, „Unwetter“ oder „Keller unter Wasser“ werden nun hauptsächlich „Personen in Wasser“, „Einsturz Gebäude“, „Gasaustritt“ und „technische Hilfe groß“ gemeldet – der Beginn einer noch nie dagewesenen, dramatischen Rettungsaktion. Die Rettung von Personen der überfluteten Bundesstraße zählt zu den ersten Maßnahmen der Simbacher Kameraden. Das Mehrzweckboot der Feuerwehr muss mithilfe des THW-Krans über eine Brücke gewassert werden, bevor die Einsatzkräfte mit der Personenrettung beginnen können. Um 14:30 Uhr ruft Landrat Michael Fahnmüller den Katastrophenfall aus. Ab diesem Zeitpunkt leitet das Landratsamt Rottal-Inn gemeinsam mit der Führungsgruppe Katastrophenschutz (FüGK) den überregionalen Einsatz, der inzwischen auch die Ortschaften Triftern, Anzenkirchen und Tann im Landkreis Rottal-Inn betrifft. In Simbach bleiben Feuerwehr, Wasserwacht, BRK, DLRG, THW und Polizei weiterhin dem Örtlichen Einsatzleiter Johann Schachtner unterstellt. Ab dem Bruch des Straßendamms zur Mittagszeit des 1. Juni 2016 ist die Stadt Simbach durchgehend zweigeteilt und wird deshalb in die Einsatzabschnitte West, unter Leitung von Zugführer Michael Jetzlsperger, und Ost, unter Leitung von Feuerwehrkommandant Markus Pilger, eingeteilt. Alle zeitkritischen Notrufe werden von der Integrierten Leitstelle (ILS) Passau direkt per Telefon zur Abschnittsführungsstelle Simbach weitergeleitet. Die Koordination der sieben Hubschrauber mit der Wasserrettung und die Weiterleitung an die beiden Abschnittsleiter erfolgt über das Simbacher Feuerwehrgerätehaus. Dort hatte das BRK bereits einen Behandlungsplatz sowie Verpflegungsstellen eingerichtet.

Rettungsaktion nimmt unvorstellbare Ausmaße an

Am Nachmittag wird die im Ostteil liegende Mittelschule vorübergehend zum Hauptbrennpunkt der Einsatzkräfte. Nach dem Alarm „B5 Brand Schule“ werden sofort nächstgelegene Feuerwehren aus dem Landkreis Passau nachalarmiert. Glücklicherweise handelt es sich um einen Fehlalarm, alle rund 110 Schülerinnen und Schüler können die Schule in den Abendstunden unversehrt verlassen. Schwieriger gestaltet sich die Rettung in Kreuzberg im östlichen Teil der Stadt, der stundenlang selbst für Boote nicht erreichbar ist. Erst um 03:00 Uhr am 2. Juni können hier die letzten Personen in Sicherheit gebracht werden. Bis dahin wurden alleine in Simbach von deutscher Seite aus 410 Evakuierungen mit Booten durchgeführt, 97 Menschen dabei aus akuter Lebensgefahr gerettet. Die österreichische Seite vermeldet bis dato weitere 229 Evakuierungen. Zusätzlich wurden 37 Menschen in Simbach mit Hubschraubern und Luftrettern ausgeflogen. Dies sind lediglich die belegbaren Einsätze, nach Feuerwehrkommandant Markus Pilger liegt die Anzahl der geretteten Menschen deutlich höher.

Am 2. Juni übernimmt der Simbacher Feuerwehrkommandant Markus Pilger die Funktion des Einsatzleiters Feuerwehr, das Stadtgebiet Simbach wird aufgeteilt in die Einsatzabschnitte Ost, Mitte, West, B 12 und den übergreifenden Abschnitt Ölschaden. In den überschwemmten Stadtteilen stehen Millionen Kubikmeter Wasser, die mittels Inn-Damm-Bresche in den Fluss geleitet werden müssen. Die Kameraden schütten aufgerissene Straßen provisorisch auf und erkunden schwer zugängliche Wege mithilfe von privaten Geländewagen und Quads. Etliche Erdrutsche erschweren zu diesem Zeitpunkt die Rettungsarbeiten erheblich. Die Einsatzkräfte suchen weiter nach vermissten Personen und durchsuchen dabei jedes betroffene Haus und jedes Fahrzeug. Zudem erfolgen Erkundungen nach Einsturz gefährdeten Gebäuden, gefährdeten Photovoltaikanlagen, Heizöltanks und Erdgasleitungen sowie freilaufenden Reptilien.

Bei dem Katastrophen-Einsatz setzte die Simbacher Feuerwehr von Beginn an TETRA-Digitalfunkt ein, da mittels Analogfunk in vielen Katastrophengebieten keine Kommunikation möglich war. Die Durchführung der Einsätze über TMO bewährte sich über den gesamten Einsatz.

Einsatz dauert über Wochen an

Die Wasserversorgung kam in der gesamten Stadt zum Erliegen, da Trinkwasserbrunnen überflutet bzw. durch die Erdrutsche verunreinigt wurden. Um die Löschwasserversorgung zu gewährleisten, wurden mehrere TLF 4000 im West- und Ostteil der Stadt stationiert. Die Bevölkerung stellte Brauchwasser zur Verfügung, das mittels B-Leitungen aus dem österreichischen Braunau über die Innbrücke nach Simbach geleitet wurde. Zudem wurden unzählige 1000 Liter-Container (IBC) mit Brauchwasser aufgestellt und ständig mit TLF aufgefüllt. Mithilfe der Trinkwasseraufbereitungsanlagen des THW funktionierte die Versorgung zumindest in den nicht überschwemmten Stadtteilen wieder nach wenigen Tagen, die von der Flut betroffenen Bereiche mussten hingegen mehr als zweieinhalb Wochen auf Trinkwasser warten.

Die Feuerwehr unterstützte zu diesem Zeitpunkt auch kontinuierlich bei der Wiederherstellung der Stromversorgung, wie z.B. durch das Befreien der Elektroanlagen von Schlamm mittels TLF. Zudem wurden Kanäle aufwendig mit Saugwägen wieder frei gespült und die durch den getrockneten Schlamm entstandene hohe Staubbelastung auf den Straßen mithilfe von Bodensprühdüsen des TLF bekämpft. Das THW arbeitete parallel an der Reparatur von mehreren freigelegten 20 KV-Erdleitungen sowie zwei gerissenen Erdgashauptleitungen, aus denen Gas austrat. 1100 Kubimeter Öl-Wasser-Gemisch aus Simbach wurden mittels THW-SEPCON-Anlage getrennt, 250.000 Liter reines Heizöl separiert und zur nahegelegenen Raffinerie der OMV Deutschland GmbH nach Burghausen gebracht. Weitere 387.000 Liter Heizöl wurden über weitere Firmen entsorgt.

Vor allem am ersten Wochenende nach der Katastrophe mussten die Einsatzkräfte von Feuerwehr, Rettungsdienste, Polizei und Bundeswehr tausende freiwillige Helfer koordinieren. Durch zerstörte Brücken und Fahrbahnen kam es immer wieder zu langen Staus. Viele hunderte freiwillige LKW-Fahrer und Landwirte mit Traktoren und Anhängern waren vor allem nachts aktiv, um die Straßen von tonnenweise Schlamm und Schutt zu befreien.

Teamwork von tausenden Einsatzkräften

Das Simbacher Feuerwehrgerätehaus diente insgesamt drei Wochen lang als Behandlungsplatz und Notunterkunft des BRK, Abschnittführungsstelle mit Unterstützungsgruppe Örtliche Einsatzleitung (UG ÖEL) und Unterstützungsgruppe Sanitätseinsatzleitung (UG SanEL), Stabsraum, Unterkunft, Verpflegungsstation, Apotheke, Kleiderkammer, psychologische Erstbetreuung durch Ärzte der Rottal-Inn-Kliniken sowie der Malteser Hilfsdienste.

Sämtliche Simbacher Führungskräfte waren von 01. bis 08. Juni 2016 im Einsatz und hatten teilweise mehr als zwei komplette Hilfeleistungskontingente unter ihrer Führung. Am 05. Juni wurde die Simbacher Feuerwehr für einen Tag vom Einsatz befreit, um physische und psychische Reserven aufzutanken. Aufgrund der extremen Belastungen nahmen viele Einsatzkräfte die Nachsorge des Malteser Hilfsdienstes dankbar in Anspruch. Beendet war der Einsatz der Simbacher Feuerwehrkräfte am 13. Juni um 15 Uhr mit letzten Maßnahmen wie dem Auspumpen von Kellern. Der Katastrophenalarm wurde erst am 24. Juni aufgehoben, der Einsatz des THW dauerte bis zum 03. Juli an.

Insgesamt waren 396 Feuerwehren aus Bayern und Österreich, 54 verschiedene Ortsverbände des THW sowie zahlreiche Wasserrettungseinheiten der Wasserwacht wie auch der DLRG, Einheiten des Bayerischen und Österreichisch Roten Kreuzes sowie des Malteser Hilfsdienstes im Einsatz. Mit Bayerischer Polizei und Bundeswehr belaufen sich die Einsatzkräfte auf bis zu 15.600, die im Simbacher Katastrophenfall hervorragend Hand in Hand arbeiteten.